Wie werden Athletinnen und Athleten besser und verringern gleichzeitig ihr Verletzungsrisiko?
14. November 2022
An der Hochschule fรผr Technik, Wirtschaft und Medien Offenburg entsteht zurzeit ein einzigartiges Forschungslabor. Das โAdvanced Motion Labโ untersucht im Bereich der Sport- und Bewegungsmechanik die Faktoren, die dazu beitragen, dass Athletinnen und Athleten besser performen und sich gleichzeitig weniger verletzen. Geleitet wird das Projekt von Professor Dr. Steffen Willwacher, der seit Jahren wegweisende Forschungen im Bereich von Bewegungsablรคufen betreibt und dabei bereits mit Spitzensportlern wie den Olympiasiegern Usain Bolt und Markus Rehm zusammengearbeitet hat.
Frage: Seit dem Wintersemester 2020/21 forschen und lehren Sie an der Universitรคt Offenburg im Studiengang Biomechanik. Womit beschรคftigen Sie sich genau?
SW: Mein spezielles Aufgabengebiet ist die Sport- und Bewegungsmechanik. Dabei liegt mein Fokus in der Analyse von Bewegungsablรคufen sowie den dabei entstehenden Belastungen von biologischen Strukturen (z.B. Muskeln und Knochen). Wir stellen uns zum Beispiel die Frage, warum ich den Speer nicht genau so weit werfen kann wie der deutsche Rekordhalter Johannes Vetter, obwohl wir gleich gross sind. Diese und รคhnliche Fragen beschรคftigen Sport- und Bewegungsbiomechanikerinnen und -mechaniker.
Frage: Was versprechen Sie sich als Wissenschaftler von dem neuen Labor in Offenburg?
SW: Sehr viel. Wir betreiben Forschung zur Interaktion von Menschen mit Umgebungsbedingungen. Wie beeinflussen verschiedene Eigenschaften der Umgebungen – zum Beispiel der Boden – die Art, in der Menschen Kraft erzeugen? Der Mehrwert ist hierbei die Entwicklung eines besseren Verstรคndnisses, um die Verbesserung der sportlichen Leistung zu ermรถglichen, aber gleichzeitig auch das Verletzungsrisiko zu minimieren.
Advanced Motion Lab mit Conica Track Testing Labor
Frage: Was den Boden betrifft, arbeiten Sie in dem Labor mit dem Schweizer Laufbahnspezialisten Conica zusammen. Worum geht es dabei?
SW: In dem โAdvanced Motion Labโ befindet sich ein grรถsserer Bereich: das โConica Track Testing Laborโ. Die Laufbahn dort ist 60m lang. Das erlaubt einen Sprint in voller Geschwindigkeit. Um an Disziplinen wie Speerwurf forschen zu kรถnnen, kรถnnen wir Netze aufbauen lassen, die speziell prรคparierte Speere und Bรคlle auffangen. Fรผr die weiteren Disziplinen wie Hoch- und Weitsprung sind Matten vorhanden, um die Sprรผnge abzufangen. Alle Bewegungen und Versuche werden hierbei von vielen hoch prรคzisen Kameras verfolgt. Die technische Ausstattung des Labors gehรถrt weltweit zu dem Besten, was es gibt. Das man sich dazu noch spezifisch auf Sportbodenforschung spezialisiert, macht das Projekt einzigartig.
Wir finden hier optimale technische Bedingungen vor, insbesondere um sportliche Bewegung von Menschen auf verschiedenen Untergrรผnden zu erforschen. Das geht natรผrlich stark in Richtung Hochleistungssport, mit dem wir uns fokussiert auseinandersetzen werden. In Zukunft mรถchten wir aber auch an Bรถden fรผr Schulen oder Freizeiteinrichtungen forschen sowie an der Nachhaltigkeit der Laufbahnen arbeiten.
Frage: Wie gewinnen Sie Ihre Erkenntnisse?
SW: Wir ziehen unsere Erkenntnisse aus drei Quellen. Zum einen kรถnnen wir durch hervorragende Methoden untersuchen, wie Menschen sich auf verschiedenen Leichtathletikbรถden bewegen und welche Belastungen dabei auf ihren Kรถrper wirken. Hierbei kommen 3D-Motion-Capturing-Verfahren zum Einsatz. Gleichzeitig haben wir in den Boden eingelassene Kraftmessplatten, um die Krรคfte zu messen, die zwischen Fuss und Boden ausgetauscht werden. Mit diesen beiden Informationsquellen, kann man in den Kรถrper hineinrechnen und erfahren, an welchem Gelenk zu welchem Zeitpunkt wieviel Energie erzeugt oder absorbiert wird. Das hilft uns auch, das Verletzungsrisiko besser einschรคtzen zu kรถnnen.
Der zweite Punkt ist das direkte Feedback der Testpersonen. Die Sensorik und Bewegungserfahrung von Hochleistungssportlern ist eine sehr wichtige Informationsquelle. Sie gibt uns Aufschluss darรผber, wie sich die Produkte anfรผhlen.
Im dritten Punkt arbeiten wir an einer Entwicklung von Prรผfstรคnden. Hier entwickeln wir gerade eine Maschine, die die Bewegung und Kraft zwischen Fuss und Boden simuliert. Das hat den Vorteil, dass eine Maschine Bewegungen sehr gut wiederholen kann โ bei Menschen wรคre die Varianz zwischen den Versuchen fรผr ein exaktes Ergebnis zu gross. Auรerdem zeigen Maschinen keine Ermรผdungserscheinungen wie Menschen.
Sportartenindividuelle Laufbahnen
Frage: Geht es hierbei auch um verschiedene Bรถden fรผr unterschiedliche Sportarten?
SW: Auch das ist ein Thema, mit dem wir uns im Rahmen unserer Forschung auseinandersetzen. Wรผrde man versuchen, fรผr jede Disziplin einen optimalen Boden zu entwickeln, wรคren diese Bรถden sehr wahrscheinlich unterschiedlich. Ein Teil unserer Forschung beschรคftigt sich daher mit der Frage, ob die Entwicklung von unterschiedlichen Bรถden fรผr verschiedene sportliche Disziplinen aus Performance- und Verletzungsrisiko-Grรผnden sinnvoller ist als die Weiterentwicklung des derzeitig genutzten โKompromissbodensโ.
Hintergrund
Prof. Dr. Steffen Willwacher wechselte zum Wintersemester 2020/21 von der Deutschen Sporthochschule Kรถln an die Hochschule fรผr Technik, Wirtschaft und Medien Offenburg und รผbernahm dort die Professur fรผr Biomechanik und Grundlagen der Ingenieurswissenschaften. Der Studiengang wurde dabei um den Schwerpunkt Sport- und Bewegungsbiomechanik erweitert. Prof. Dr. Willwacher gewann fรผr seine Forschungsarbeiten bereits international anerkannte Preise. Dazu gehรถrte unter anderem 2018 der โHans Gros Emerging Researcher Awardโ der International Society of Biomechanics in Sports. Er war selbst Zehnkรคmpfer und Dritter bei den U20-Europameisterschaften 2003 sowie deutscher U23-Meister 2006. Er hatte in seiner sportlichen Karriere immer wieder mit Verletzungen zu kรคmpfen. Auch das war eine Motivation fรผr seine Forschungen im Bereich Gehen, Laufen und Sprinten.
รber Conica:
Conica entwickelt und produziert seit รผber 40 Jahren innovative, fugenlose Bodenbelagslรถsungen auf Basis von Polyurethan- und Epoxidharzen fรผr Sport, Spiel, Freizeit und andere Bereiche. Conica gehรถrt weltweit zu den Marktfรผhrern und Innovationstreibern in diesem Bereich. Die anwenderorientierten Anforderungen an die technische und sportfunktionelle Leistungsfรคhigkeit sowie die Gebrauchstauglichkeit unter Gewรคhrleistung gesundheitlicher Aspekte des Materials selbst und fรผr den Anwender stehen im Mittelpunkt der Produktentwicklung. Conica ist Teil der Serafin Unternehmensgruppe mit Sitz in Mรผnchen.